© Historisches Museum der Pfalz Speyer
© Tino Latzko
Hier geht es zur Hambacher Intervention: www.hambacher-intervention.de
Wir alle stehen noch immer unter dem Schock des russischen Angriffskriegs, der die Ukraine mit menschenverachtender Härte trifft. Mit umso größerer Sorge erfüllt es uns, dass dieser Krieg ebenso wie die Coronapandemie von einer sich zunehmend radikalisierenden Minderheit dazu genutzt wird, um unsere bundesrepublikanische Demokratie und ihre Institutionen zu delegitimieren. Die von Vertretern der Neuen Rechten und Verschwörungstheoretikern regelmäßig vorgenommene Diffamierung unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung als „Diktatur“ erweist sich dabei gleichermaßen als schamlos und unverantwortlich. Schamlos, weil durch den Vergleich der Bundesrepublik mit einer Diktatur jedes einzelne Opfer verhöhnt wird, das unter den wahren Diktaturen des 20. und 21. Jahrhunderts gelitten hat, emigrieren musste, gefoltert und ermordet wurde. Und unverantwortlich, weil Diktatur-Vergleiche nicht einfach als gewöhnliche politische Kritik oder Polemik abgetan werden können. Erst vor wenigen Wochen hat nur das entschiedene Eingreifen der Ermittlungsbehörden die gewaltsamen Umsturzpläne einer militanten Gruppierung unterbunden, deren Mitglieder sich in einer „Diktatur“ wähnten. Einer der Hauptverdächtigen stammt aus Neustadt an der Weinstraße.
Dass die Radikalisierung der Sprache eine gewaltsame Verrohung der politischen Kultur nach sich zieht, ist nicht nur eine bedrückende Lehre aus der Geschichte. Pauschale Diffamierungsbegriffe wie „Volksverräter“ oder „Lügenpresse“ ziehen über kurz oder lang konkrete Handlungen nach sich. 2021 hat es in Deutschland 4722 politisch motivierte Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger sowie 83 tätliche Angriffe auf 124 Journalistinnen und Journalisten gegeben. 75% dieser Angriffe auf die Pressefreiheit ereigneten sich auf Demonstrationen von Gegnern der Corona-Maßnahmen.
Kritik an den Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie ist legitim. In den Parlamenten, in den Medien oder in der Öffentlichkeit wurde und wird kontrovers über deren Notwendigkeit und Problematik debattiert. Solche Kontroversen muss eine Demokratie nicht nur aushalten, sie lebt geradezu von ihnen. Wo Kritik jedoch zu Hass wird oder in Gewalt umschlägt, wo Verschwörungstheorien und absurde historische Vergleiche als politische Waffe missbraucht werden, dort muss entschieden und konkret widersprochen werden.
Wir erklären daher in aller Deutlichkeit: Wer die bundesrepublikanische Demokratie als „faschistische Hygienediktatur“ diffamiert, wer sie mit diktatorischen Regimen des 20. Jahrhunderts gleichsetzt, macht sich mitschuldig an einer unheilvollen politischen Radikalisierung. Wer politisch Andersdenkende als „Systemlinge“ bezeichnet, ist nicht an Debatte, sondern an Spaltung interessiert. Wer auf offenen Bühnen oder allen nur denkbaren Kanälen die Bewegung der sog. „Querdenker“ und Coronaleugner mit der Friedlichen Revolution von 1989 gleichsetzt, bezeugt eine erschreckende historische Kenntnislosigkeit und verhöhnt zugleich den Mut der damaligen Demonstrierenden, die gegen eine Diktatur aufbegehrten. Wer den Angriffskrieg Russlands als „Bespaßungsprogramm“ oder als „Inszenierung“ der „korrupten“, „kriegstreiberischen“ Demokratien des Westens bezeichnet, hat das gemeinsame freiheitliche Wertefundament unserer Demokratie verlassen.
All diese Aussagen stammen von Gruppierungen oder Personen, die für sich beanspruchen, auf den Spuren der Teilnehmenden des Hambacher Festes zu wandeln. Auch dieser Anmaßung muss entschieden widersprochen werden. Anders als im Jahr 1832 zeichnet sich ihr Verhalten gerade nicht durch Mut und Solidarität aus.
Das Hambacher Fest von 1832 steht für den Mut und die Freiheitsliebe demokratischer Patriotinnen und Patrioten und für ein solidarisch vereintes Europa. In diesem Geist laden vom 27. bis 29. Mai 2022 die Stadt Neustadt an der Weinstraße und die Stiftung Hambacher Schloss alle Bürgerinnen und Bürger ein zu „1832. Das Fest der Demokratie“.
Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner dieser Intervention unterstützen dieses weltoffene und bunte Demokratiefest. Zugleich distanzieren sie sich von allen Initiativen oder Gruppierungen, die die Corona-Krise oder den Krieg Russlands als Mittel missbrauchen, um mit radikaler Rhetorik unsere Gesellschaft zu spalten und unsere Demokratie in Verruf zu bringen. Es wird ihnen nicht gelingen.
Neustadt an der Weinstraße, Mai 2022
Staatsminister Roger Lewentz
Vorstandsvorsitzender der Stiftung Hambacher Schloss
Marc Weigel
Oberbürgermeister der Stadt Neustadt an der Weinstraße
Abdelkarim
Kabarettist und Moderator
Wendelin Abresch
Unternehmer, Nachfahre von Johann Philipp Abresch
Kurt Beck, Ministerpräsident a.D.,
Prof. Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin a.D.
Vorsitzender und stellvertretende Vorsitzende des Beirats der Stiftung Hambacher Schloss
Gerda Bolz
Ortsvorsteherin Hambach
Chawwerusch Theater
Felix S. Felix, Miriam Grimm, Ben Hergl, Monika Kleebauer, Thomas Kölsch, Walter Menzlaw, Stephan Wriecz
DGB Stadtverband Neustadt
Claudia Dorka, Viola Küßner
Damenkollektiv Neustadt
Johann Fitz
Weingut Fitz-Ritter, Bad Dürkheim, Nachfahre von Johannes Fitz
Dr. Theophil Gallo
Vorsitzender der Siebenpfeiffer-Stiftung, Landrat des Saarpfalz-Kreises, Homburg
Thomas Hirsch
Oberbürgermeister der Stadt Landau
Hans-Ulrich Ihlenfeld
Landrat des Landkreises Bad Dürkheim
JOANA
Sängerin und Liedermacherin
Prof. Dr. Wilhelm Kreutz
Vorsitzender der Hambach-Gesellschaft für historische Forschung und politische Bildung e.V.
Thomas Krüger
Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung
Bernhard Kukatzki, Dr. Sarah Scholl-Schneider
Direktor und stellvertretende Direktorin der Landeszentrale fürpolitische Bildung Rheinland-Pfalz
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Bundesjustizministerin a.D.
Wolfgang Niedecken
Musiker und Künstler
Ulrich Riehm
Freundeskreis Hambacher Fest 1832
Dietmar Seefeldt
Landrat Südliche Weinstraße
Kurt Werner und Dr. Anja-Maria Bassimir
Vorstandsvorsitzende des Fördervereins Gedenkstätte für NSOpfer e.V., Neustadt an der Weinstraße
Theo Wieder, Dr. Klaus Weichel, Ruth Ratter
Bezirksvorstand des Bezirkstags Pfalz
Dorothee Wüst
Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche der Pfalz